Lothar Sack
Die gemeinsame Schule für alle –
das Ziel ist nicht abhängig vom Namen!
Die Forderung nach der gemeinsamen Schule für alle – und auch der Kampf um sie – hat eine lange Geschichte:
Einige frühere Stationen der Idee der gemeinsamen Schule für alle
Johann Amos Comenius (1592-1670): „omnes omnia omnino excoli“ („Alle alles ganz zu lehren“), Forderung eines Schulwesens mit einer Schulpflicht für Mädchen und Jungen aller Stände und Fähigkeiten mit einer einheitlichen Schulausbildung unter Beachtung pädagogischer Prinzipien wie Anschauung, Selbstständigkeit, Gebrauch der eigenen Vernunft, Gewaltfreiheit, Erziehung zur Menschlichkeit in einer lebensnahen freundlichen Schule als Beitrag zur Weltverbesserung.
Wilhelm v. Humboldt (1767-1835): u. a. Königsberger und Litauischer Schulplan. Es kann nur eine weiterführende Schulform geben, das Gymnasium, daneben keine Mittelschulen.
Fritz Karsen (1885-1951): Auf der Reichsschulkonferenz 1920 forderte er als Vertreter der entschiedenen Schulreformer die gemeinsame Schule für alle. Schulleiter (1921-1933) des Kaiser-Friedrich-Real-Gymnasiums, ab 1929 Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln, verwendete die Bezeichnungen (Lebens-) Gemeinschaftsschule, Einheitsschule und auch Gesamtschule.
Der Name Gesamtschule verbindet sich mit der westdeutschen Schulgeschichte nach dem 2. Weltkrieg. Ohne auf diese Geschichte näher eingehen zu wollen, hier nur so viel: Vor allem die Amerikaner versuchten unmittelbar nach dem Krieg, zumindest in Teilen Deutschlands, eine gemeinsame Schule für alle Kinder und Jugendlichen einzuführen – sie sahen in dem traditionellen ständischen Schulsystem einen der Gründe für das Erstarken des Faschismus in Deutschland. Konservative politische Kräfte bekämpften diese Schule und nannten sie unter Verweis auf die Entwicklung in der DDR und in diffamierender Absicht „sozialistische Einheitsschule“. Die Initiative der Alliierten blieb stecken und wurde schließlich dem beginnenden Kalten Krieg geopfert. Erst in den 60er Jahren lebte die Idee wieder auf, diesmal unter der Bezeichnung Gesamtschule; ein offensichtliches Anknüpfen an die Reformpädagogik, die unmittelbare Nachkriegszeit oder die Entwicklung in der DDR wurde vermieden. Die Befürworter beabsichtigten die Etablierung einer neuen Schule, nicht als Ergänzung zum wiedererstarkten hierarchischen Schulsystem, sondern um es zu überwinden. Schließlich ist einer demokratischen Gesellschaft angemessen nur eine gemeinsame Schule für alle Kinder und Jugendlichen mindestens bis zum Ende der allgemeinen Schulpflicht. 1969 wurde die GGG gegründet als Organisationsplattform und öffentliche Stimme aller Befürworter der gemeinsamen Schule für alle. In etlichen Bundesländern ergab sich die Möglichkeit, über die Diskussion der Idee hinausgehend, solche Gesamtschulen zunächst als Schulversuche, später auch als Regelschulen zu gründen. Bei vielen Gründungen spielten die GGG und ihre Protagonisten eine maßgebliche Rolle. Häufig wurden Schulen gegen z. T. erbitterten Widerstand ertrotzt, viele Menschen traten in diesen Phasen der GGG bei, für viele von ihnen ist diese Gründungszeit in besonderer Weise mit Herzblut verbunden.
Kann man aus dieser Geschichte ableiten, dass nur die Verwendung des Namens Gesamtschule den Anspruch auf die gemeinsame Schule für alle ausdrückt?
Die Situation in den verschiedenen Bundesländern stellt sich heute dramatisch unterschiedlich dar. Das gegliederte Schulsystem, als dessen Gegenpart sich die Gesamtschulidee immer verstanden hat, gibt es nicht mehr überall in der gewohnten Rolle. Ob wir das begrüßen oder ablehnen, es ist in vielen Bundesländern Realität. Es gilt, sich auf diese (neue) Situation einzustellen und sie in die Überlegungen für unsere Aktivitäten einzubeziehen. Es nutzt den Schulen und den Akteuren in Bundesländern wie Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland, Schleswig-Holstein aber auch Sachsen nichts, wenn der Name Gesamtschule als einzig zulässig angesehen wird, es gibt ihn in diesen Ländern nicht (mehr), sehr wohl gibt es dort Schulen – zu einem beträchtlichen Teil hießen sie früher Gesamtschulen, haben aber auch eine andere Geschichte – und politische Kräfte, für die die derzeitige Form kein Endzustand sondern nur ein Zwischenschritt ist.
Es sei an den bereits mehrfach zitierten Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses vom 26.07. 2009 erinnert, in dem es zur Begründung der Einführung der Integrierten Sekundarschule heißt:
„… bedarf es einer Schule, die alle Kinder und Jugendlichen mit ihren jeweiligen Ausgangslagen annimmt und individuell fördert, die nicht nach vermeintlicher Leistungsfähigkeit sortiert, sondern individuelles und längeres gemeinsames Lernen in heterogenen Lerngruppen in den Mittelpunkt stellt. Es bedarf eines nicht auslesenden Schulsystems und einer neuen Lern- und Lehrkultur, so wie es dem Selbstverständnis der Gemeinschaftsschule entspricht.
Die bevorstehende Weiterentwicklung der Schulstruktur durch die Errichtung einer integrativen Schulform in der Sekundarstufe, die alle bisherigen Bildungsgänge einschließt und zu allen Abschlüssen, einschließlich Abitur, führt, ist ein wichtiger Zwischenschritt in Richtung eines ungegliederten, nicht auslesenden Schulsystems.“
Es liegt auch an uns, den Anspruch auf ein nicht selektierendes Schulsystem dauerhaft mit den vollständigen und integrierten Schulformen zu verknüpfen, die mit anderen Namen als Gesamtschule daherkommen. Gerade auch weil Uneinigkeit in den Reihen der Schulen des gemeinsamen Lernens unseren Gegnern nützt und uns schadet, sollten wir nicht den Fehler machen, den neuen Schulen zu unterstellen, dass sie auf einem falschen Weg sind, nur weil sie nicht Gesamtschule heißen. Im Gegenteil, wir müssen diesen Schulen zeigen, dass sie dazu gehören und wir sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Das erreichen wir nicht durch eine Namenswahl für unseren Verband, bei der sich die Mehrheit der vollständigen integrierten Schulen nicht angesprochen fühlt. Bleiben wir bei unserem überkommenen Namen, befördern wir damit eher die Etablierung von gesonderten Verbänden für integrierte Schulformen anderen Namens. Nur die Vertreter eines weiterhin selektiven und exkludierenden Schulsystems hätten etwas davon, wenn sich neben dem „Gesamtschulverband“, ein „Gemeinschaftsschulverband“, ein „Sekundarschulverband“, ein „Stadtteilschulverband“, ein „Oberschulverband“ oder gar ein „Primusschulverband“ bilden würde.
Nicht der vermeintlich richtige Gattungsname real existierender Schulen eint uns, uns sollte einen die gemeinsame Absicht, der Schule für alle näher zu kommen. Wir müssen wahrgenommen werden als Unterstützer für jede Person und jede Schule, die sich in ihrer Entwicklung hin zu einer Schule des gemeinsamen Lernens auf den Weg machen wollen. Jede Schule, die diesem Ziel verbunden ist, sollte zu uns gehören, gleich auf welchem Entwicklungsstand sie sich befindet. Auch bisher sind bereits Schulen mit sehr unterschiedlichem Entwicklungsstand in Bezug auf das gemeinsame Lernen Mitglieder der GGG.
Nicht das Hervorheben des Namens einer einzelnen Schulform sondern die Beschreibung unseres bildungspolitischen und pädagogischen Anliegens kann diese Gemeinsamkeit im Namen unseres Verbandes zum Ausdruck bringen. Gemeinsam sind wir stärker!